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Jüdisches Leben
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Beitrag vom 18.10.2017
Ausstellung: Die Vergessenen. Opfer deutscher Besatzungsgewalt in Rostow am Don bis zum 16. November 2017 im Foyer des Jüdischen Gemeindehauses
Judith Kessler
Dem deutschen Krieg in der Sowjetunion sind 27 Millionen Menschen zum Opfer gefallen, unter ihnen auch drei Millionen Kriegsgefangene. Oft übersehen wird, dass der Holocaust hier, in Russland, seinen Anfang genommen hat, Monate bevor die Deportationen in die Todeslager begannen. Die von Dr. Christina Winkler kuratierte Ausstellung beleuchtet dieses unzureichend bekannte und sogar bewusst negierte Kapitel.
Im August 1942 wurden in Rostov bei einer Massenerschießung zwischen15.000 und 18.000 Juden ermordet. Rostov ist damit der größte Tatort des Holocaust im heutigen Russland. Außerdem wurden, worüber bis heute kaum gesprochen wird, mehrere tausend sowjetischer Kriegsgefangener in den Lagern der Stadt getötet und die Patienten und Patientinnen städtischen Psychiatrie in Gaswagen ermordet, sowie rund 50000 Rostower, das waren 10% der Einwohner der Stadt als Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen nach Deutschland verschleppt.
Rostov ist dabei nur exemplarisch für zahllose andere Städte in den besetzten Gebieten der Sowjetunion, in denen auf gleiche Weise gemordet wurde.
Die Ausstellung "Die Vergessenen" zeigt vor allem, dass "Auschwitz" die Massenerschießungen von Juden in der Sowjetunion vorausgingen, dass auch in den besetzten Gebieten systematisch Kranke und Behinderte ermordet wurden, dass das Schicksal der Holocaustopfer oftmals mit dem der Kriegsgefangenen verknüpft war, weil diese gezwungen wurden, den deutschen Einsatzkommandos zu assistieren und nebenbei auch, dass das Thema Erinnerung nicht nur in Deutschland problematisch ist. So hat die Jüdische Gemeinde in Rostow 2004 eine Tafel am Tatort der Erschießungen anbringen lassen. Doch kurz vor dem 70. Jahrestag des Massakers hat die Stadtverwaltung diese Tafel abgenommen und durch eine neue ersetzt, auf der die Worte Jude und Holocaust nicht mehr vorkamen. Obwohl die Dokumente das Gegenteil beweisen, wurde behauptet, dass es unklar sei, ob die Opfer überhaupt Juden waren. Die Jüdische Gemeinde ging dann vor Gericht und verlor gegen die Stadt, die allerdings anschließend eine dritte Tafel anbringen ließ, auf der jetzt steht, dass die Opfer unterschiedlicher Nationalität waren.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Dr. Christina Winkler, die an der Universität Leicester über die "Russische Sicht auf den Holocaust" promoviert und bei Archivrecherchen zum Massenmord an den Juden in Rostov quasi als Nebenprodukt auch Dokumente gefunden hat, die in Russland und in Deutschland nur sehr marginal Gegenstand der offiziellen Kriegserinnerung sind bzw. im konkreten Fall in der Fach-Literatur überhaupt noch nicht beschrieben waren.
Die Ausstellung ist bis zum 16. November 2017 im Foyer des Jüdischen Gemeindehauses, Fasanenstraße 79-80, 10623 Berlin zu sehen, So–Do 10-20 Uhr, Fr 10-15 Uhr, Eintritt frei.
Weitere Informationen unter: www.jvhs.de
Text und Fotos: Judith Kessler